Mitte Mai bot sich mir zum ersten Mal seit knapp fünf Jahren wieder die Möglichkeit, meine Heimatstadt Wittenberg zu besuchen. Lange stand nicht fest, ob meine Mutter und ich die Reise wirklich würden antreten können. Umso schöner war es dann, als wir uns an einem schönen Sonntag tatsächlich in den Zug setzten und auf den Weg machten.
In Wittenberg erwartete uns schließlich ein Programm, wie es dichter kaum hätte sein können. Schließlich galt es in nur zwei Tagen Verwandte zu besuchen und möglichst viel vom reichen Programm des Lutherjahres mitzunehmen.
Los ging es gleich am Montag nach dem Frühstück mit einer Führung durch die weltberühmte Wittenberger Schlosskirche. Eben jene Kirche, an deren Haupttor Martin Luther 1517 seine 95 Thesen geheftet haben soll. Wer in Wittenberg ist, sollte sich den Besuch dieser Kirche keinesfalls entgehen lassen, schließlich ist sie nicht umsonst UNESCO-Weltkulturerbe und erstrahlt heute aufgrund umfangreicher Sanierungsarbeiten wieder in ganz neuem Glanz. Auch zu einer geführten Besichtigung, wie wir sie an jenem Vormittag erleben durften, kann ich nur ganz herzlich raten, erfährt man so doch unheimlich viel über die bewegte Geschichte des Gotteshauses sowie über die zahlreichen beeindruckenden Kunstwerke, die zur Ausschmückung der Schlosskirche gehören. Für uns bot der Besuch an diesem Tag sogar noch ein ganz besonderes Erlebnis, als eine Gruppe junger Amerikaner sich plötzlich vor dem Altar zu einer Art Flashmob versammelten und ein kleines Chor-Konzert anstimmten - ein Auftritt, der von den zahlreichen Besuchern freudig aufgenommen wurde.
Nur einen einzigen kleinen Wermutstropfen gab es bei unserem Besuch in der Schlosskirche dann aber leider doch: Zumindest Mitte Mai, als die Feierlichkeiten zum Lutherjahr gerade erst begonnen hatten und der Kirchentag kurz bevor stand, glich die ganze Stadt noch einer großen Baustelle. So störten konstante Bohrgeräusche auch den Frieden in der Schlosskirche ziemlich unangenehm und machten es weder den Touristenführern, noch den Touristen leicht, den Aufenthalt in der Kirche richtig zu genießen. Man kann nur hoffen, dass diese Bauarbeiten mittlerweile ein Ende gefunden haben.
Interieur der Schlosskirche
Nach unserem Besuch in der Schlosskirche machten wir uns auf, die Weltaustellung Reformation zu erkunden. Unter dem Motto "Tore der Freiheit" lädt diese Ausstellung zu einem ausgedehnten Spaziergang durch Wittenberg ein, bei dem es allerhand zu entdecken gibt. Insgesamt sieben Torräume gibt es zu besichtigen, wobei wir uns bei unserem Besuch entgegen der eigentlich vorgegebenen Richtung bewegt haben und somit unseren Rundgang am späten Nachmittag am Torraum 1 "Welcome" abschlossen. Zu diesem gehört eine der wohl beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten der Weltausstellung, nämlich eine 25 Meter hohe, begehbare Lutherbibel, von deren Aussichtsplattform man einen umfassenden Rundumblick über Wittenberg bekommt. Da am Tag unseres Besuchs der Aufzug außer Betrieb war, erklomm ich als einziger von uns die Treppen der Stahlträgerkonstruktion (den anderen war das zu mühsam) - ein Aufwand, den ich nicht bereut habe! Ein näherer Blick auf die riesige Lutherbibel lohnt übrigens, sieht man doch nur so, dass ihr "Einband" keineswegs schlicht weiß ist, wie es von Ferne den Eindruck macht, sondern Seite für Seite der Lutherbibel zeigt.
Begehbare Lutherbibel
Auch in den anderen Torwegen gibt es so manches zu sehen. Auf dem Bunkerberg kann man auf verspiegelten Stegen wandeln, hinter der Schlosswiese laden verschiedenste Installationen zum Grübeln ein. Dort findet man beispielsweise eine so genannte "Kompoststadt" sowie eine Installation der Hochschule für Technik in Stuttgart, die mit ihren hohen Stelen aus Kunststoff-Transportkisten entscheidend das Bild des siebten Torraums "Kultur" prägt. Besonders schön ist meiner Meinung nach jedoch der Torraum 6 "Ökumene und Religion" gelungen, wo im Luthergarten hunderte Bäume in Form der Lutherrose gepflanzt wurden. Man kann dort wunderbar entlangspazieren und an jedem der Bäume nachlesen, um was für eine Sorte es sich handelt und wer ihn gestiftet hat. Zu diesem Torraum gehören auch noch der Bayerische Garten mit der größten Krippe der Welt und der schönen Idee, dass man gleich vor Ort ein kleines Samentütchen pflanzen kann sowie das Riesenrad der Seelsorge.
Kunst & Natur vereint in der Weltausstellung Reformation
Verspiegelte Stege auf dem Bunkerberg
Tolle Ideen findet man auch im Torraum 5 "Globalisierung | Eine Welt". Dort steht die LichtKirche, die ich liebend gerne einmal im Dunkeln gesehen hätte. Ein großer Küchentisch ermöglicht Diskussionen über Gott und die Welt und der Segensroboter BlessU-2 spendet Segen zum Mitnehmen - und das sogar in verschiedenen Sprachen.
Zum Nachdenken regt der Torraum 4 am Schwanenteich an. Dort macht eine Installation aus Flüchtlingsbooten auf die Flüchtlingskrise unsere Zeit aufmerksam.
Flüchtlingsboot-Installation auf dem Schwanenteich
Fast schon ein wenig versteckt, aber definitiv einen Besuch wert, ist auch die Württemberger Halle mit ihrer Vorstellung von "Württemberg in Wittenberg", die mit ihren horizontal wachsenden Bäumen ein echter Hingucker ist. - Und so könnte ich noch ewig weiterschreiben, so viel gibt es zu sehen. Wie wäre es zum Beispiel noch mit einem Spaziergang mit Schirm, in den ein Audioguide integriert ist? Oder mit einem Abstecher zu den Glaspalästen Wiener Studierender (die bei unserem Besuch leider noch nicht fertig waren und uns eine Weile ganz schön rätseln ließen)? Auch gibt es unzählige Infopavillions verschiedener Kirchen sowie Organisationen, deren Mitarbeiter alle gerne Auskunft über ihre Anliegen geben. Eine voll funktionsfähige Druckerpresse - ein Nachbau einer Gutenberg-Presse - kann im Pavillion der Schweizer Mission Zwingli bei der Arbeit betrachtet und auch mal selbst ausprobiert werden. Auf ihr wird durchgängig bis zum Ende der Ausstellung die Züricher Bibel gedruckt, nur wenige Seiten jeden Tag. Und überhaupt: alle Beteiligten, mit denen wir gesprochen haben, waren einfach unheimlich freundlich und haben stets den Dialog mit den Besuchern gesucht.
Der Besuch der Weltausstellung Reformation an diesem Tag war für mich persönlich eine spannende Erfahrung. Man sah, wie viel Mühe sich alle Beteiligten bei der Planung gegeben hatten und was für vielseitige, kreative Pavillons, Installationen und Ideen daraus erwachsen waren. So kann ich wirklich nur jedem raten, den es im Rahmen des Lutherjahres nach Wittenberg verschlägt, der Weltausstellung einen Besuch abzustatten und dafür auch genug Zeit einzuplanen. Dabei spielt es auch gar keine Rolle, ob man selber Christ ist, einer anderen - oder wie ich selbst gar keiner - Religion angehört. Hier gibt es für jeden viel zu sehen, viel zu entdecken und viel zu lernen und man nimmt sicher den einen oder anderen neuen Impuls mit nach Hause.
Ziemlich erschlagen von all den Eindrücken machten wir uns nach einem abschließenden Eis auf den Heimweg. Am nächsten Tag ging es dann gleich weiter, und auch da gab es noch so einiges zu sehen. Doch davon werde ich im nächsten Beitrag berichten.